Lesestunde im Unterricht. Die Drittklässler hatten zum allerersten Mal einen Aufsatz geschrieben, die sie jetzt vorlesen sollten.
Als Erster war Hans an der Reihe, den allen Kleinrötchen nannten, wegen seiner roten Haare und Sommersprossen.
Hans erhob sich von der Schulbank und begann:
»I...ich b...bin so n...nerv...vös ...«
»Das macht nichts, Hans«, unterbrach ihn Frau Schulze, »wir sind alle nervös, wenn wir etwas tun sollen, das wir noch nie getan haben.«
Hans sah von seinem Papier auf und bemerkte, dass alle ihn anstarrten. Hinter ihm kicherten welche. Er wollte etwas sagen, doch Frau Schulze kam ihm zuvor.
»Komm Hans, fang jetzt einfach an.«
Hans senkte den Kopf, es dauerte einen Moment, dann: »Ich bin s...so nerv...vös ...«
»So kommen wir nicht weiter, Hans«, unterbrach ihn Frau Schulze erneut. »Nun komm schon, du brauchst doch keine Angst zu haben, dass dir jemand etwas antut. Es ist für alle das erste Mal, deine Mitschüler sind genauso aufgeregt wie du. Wir finden es ja ganz gut, dass du so ehrlich bist und zugibst, dass du nervös bist. Das haben wir nun gehört. Jetzt lies endlich!«
Hans wagte es nicht mehr, in die ihm zugewandten Gesichter zu schauen. Seine Unterlippe zitterte, er starrte auf sein Blatt und es schien, als könnte er jeden Moment in Tränen ausbrechen.
»Hans?« Frau Schulze stand jetzt neben ihm und sah auf ihn herunter. Hans saß nach vorne gebeugt, die Hände auf den Aufsatz, den Kopf gesenkt.
»Zum letzten Mal, lies jetzt deinen Aufsatz vor!«
Doch Hans brachte keinen Ton mehr heraus.
Frau Schulze begriff, dass es keinen Sinn mehr hatte, Hans zum Vorlesen seines Aufsatzes zu bewegen. Sie seufzte und begab sich wieder nach vorne.
»Marianne, deinen Aufsatz bitte!«
Am Ende des Tages sammelte Frau Schulze die Aufsätze ein und verabschiedete die Kinder. Hans schlich, die Augen fest auf den Boden gerichtet, an ihr vorbei zum Ausgang.
Karin Schulze sah ihm nach.
Vielleicht sollte ich seine Eltern fragen, warum er so unsicher ist.
Dann packte sie die Aufsätze in ihre Aktentasche und machte sich auf den Nachhauseweg. Nach dem Abendessen setzte sie sich an ihren Schreibtisch und kramte den Aufsatz von Hans aus der Tasche hervor.
Die Schamröte stieg ihr ins Gesicht, als sie las, was der Junge vergeblich versucht hatte, vorzulesen:
»Ich bin so nervös, weil meine Freunde mich immer auslachen, wenn ich was sage. Weil ich so stottere ...«