Leseprobe  "DER PLOT"

 

 

Teil 1

 

Der Auftrag

 

1.  Nächtlicher Stierkampf

 

Der alte Volvo bog von der Hauptstraße ab, sein Lichtkegel streifte ein stählernes Tor. Dahinter tauchte die Silhouette eines grauen Gebäudes auf, die sofort wieder mit der Dunkelheit verschmolz. Die Scheinwerfer beleuchteten einen Weg, der auf beiden Seiten von Bäumen gesäumt war. Ihre verzweigten Äste bildeten ein Gewölbe, das den fahlen Schein des Halbmondes nur durchschimmern ließ. Das Fahrzeug fuhr den Weg hinunter und parkte vor dem Sportstudio. Der Fahrer stieg aus, nahm eine Sporttasche vom Rücksitz und warf einen Blick auf die gläserne Tür. Im Innern brannte Licht, einige Fitnessbesessene trainierten noch.

Sein Auto  fiel hier nicht auf. Er schwang die Tasche über die Schulter und ging den Weg zurück, den er heruntergefahren war.

Heute Abend ist es so weit.

Er schlich am Tor vorbei, das von Kameras überwacht wurde. Im Lichtschein, der durch die geöffnete Eingangstür auf die Einfahrt  fiel, erspähte er den Umriss einer dunklen Limousine. Die Innenbeleuchtung des Fahrzeugs erlosch, als der letzte Insasse die Tür zuschlug. Drei Männer betraten das Gebäude.

Ich muss mich beeilen!

Außer Reichweite der Kameras hastete er den Weg zur Hauptstraße hinauf, an zwei eisernen Brücken vorbei, die einen Graben entlang der Straße überquerten. Dem ehemaligen Altersheim hatten sie als Fluchtwege gedient, jetzt endeten sie an einem Zaun. Stacheldraht war zwischen den Spitzen der nach innen gekrümmten Pfosten gespannt.

Die sollen verhindern, dass man hier ausbricht.

Nach etwa hundert Metern bog er von der Straße ab und rannte eine Wiese hinunter ins Tal.

An der Stelle, wo der Zaun in den Wald abknickte, ging er in die Hocke. Mit einer Kneifzange knipste er einen Streifen in den Maschendraht, den er hochklappte.

Aus der Sporttasche nahm er den schwarzen Overall mit Kapuze und zog ihn über. Eine Dämmung mit innenseitiger Alukaschierung verhinderte, dass die Körperwärme nach außen abstrahlte. Mit einem Stoßgebet, dass die Infrarot-Bewegungsmelder an der Gebäudeaußenwand ihn nicht erfassen möchten, robbte er durch die Öffnung. Sekundenlang verharrte er, bereit, sofort zurückzukriechen. Kein Strahler  flutete das Gelände.

Er atmete durch, kroch weiter. Im Schutz des Gebäudes richtete er sich auf und schlich an der Wand entlang zum einzigen Fenster, dessen Lichtstreifen am Rand verriet, dass der Raum dahinter benutzt wurde. Er heftete ein mit Saugnapf versehenes Mikrofon an die Scheibe, steckte sich den Stöpsel ins Ohr. Er ließ sich aufs Gras sinken, schaltete das Aufnahmegerät ein und lehnte sich gegen die Wand.

Hoffentlich bin ich nicht zu spät!

Eine Tür öffnete und schloss sich, gefolgt von Schrittgeräuschen. Stühle wurden geschoben. Geflüster erstarb, als die Tür erneut geöffnet wurde. Anscheinend der Hausherr, denn es folgte eine kurze Begrüßung, bevor Ruhe einkehrte.

Der Lichtstreifen erlosch. Am Lichtflackern erkannte er, dass drinnen ein Film vorgeführt wurde.

Mist. Ein Stummfilm!

Nach wenigen Minuten erschien der Lichtspalt wieder, der Film war zu Ende.

Jemand räusperte sich. »Das war der Auftritt von Doktor José Delgado in der Stierkampfarena von Córdoba. Wie Sie gesehen haben, bekämpfte er den Stier mit einem Handsender. Er ließ ihm vorher Elektroden in die Amygdala einp anzen, den Bereich im Zwischenhirn, worin das Hass- und Liebeszentrum liegen. Sehr nah beieinander, nebenbei bemerkt, meine Herren!«

Anscheinend wartete der Redner auf eine Lachsalve, doch keiner der Anwesenden tat ihm den Gefallen.

»Sie haben gesehen, dass der Stier wütend angriff und dann plötzlich abdrehte, was sich einige Male wiederholte. Wie hat Delgado das geschafft? Mit dem Sender schwächte er die Aggressivität des Tieres über die ... nennen wir sie Liebeselektrode ab, so dass es den Angriff stoppte, und stimulierte sie wieder über die Hasselektrode.«

Den Worten folgte ein Flüstern der Gäste.

»Meine Herren, darf ich Sie daran erinnern, dass Delgados Stierkampf 1965 stattfand.«

Der Redner legte eine Pause ein, bevor er weitersprach.

»Ich werde Ihnen zeigen, weshalb ich Sie heute Abend eingeladen habe ...«

Jetzt wird es interessant!

Draußen unter dem Fenster drückte der Lauscher den Stöpsel fester gegen das Ohr. Je länger geredet wurde, umso kälter wurde ihm. Und das lag nicht an der plötzlich gefallenen Außentemperatur Ende September.

Plötzlich fiel der Ton aus. Das Mikrofon lag im Gras.

Der Saugnapf hat sich gelöst!

Er richtete sich auf, um ihn wieder an der Scheibe zu befestigen. Im gleichen Moment wurde der Vorhang zur Seite geschoben, ein Mann starrte auf ihn herunter.

Für den Bruchteil einer Sekunde verharrte er, dann schaltete sein Gehirn auf Flucht. Er wirbelte herum, rannte davon. Hinter ihm wurde das Fenster geöffnet.

»Halt! Stehen bleiben!«

Scheinwerfer tauchten das Gelände in grelles Licht.

Dann  fielen Schüsse.